Per App zu mehr Nachhaltigkeit: Im EU-Projekt electrific hat ein internationales Forschungsteam einen intelligenten Routenplaner für Elektrofahrzeuge mit dem Ziel entwickelt, grüner und batterieschonender unterwegs zu sein. Mit dabei sind auch die Universität Passau und die Technische Hochschule Deggendorf.
Die E-Mobilität wächst, immer mehr E-Autos, E-Busse, E-Scooter, E-Bikes bewegen sich auf unseren Straßen. Sie brauchen Strom – am besten aus erneuerbaren Quellen. Und sie brauchen Batterien – am besten solche, die lange h alten. Eine Gruppe aus internationalen und regionalen Partnern, darunter die Universität Passau und die Technische Hochschule Deggendorf, widmet sich seit 2016 genau diesen Themen. Im EU-Projekt electrific wollen sie die Nutzung von Elektrofahrzeugen attraktiver, für das Stromnetz verträglicher, batteriefreundlicher – schlicht: nachhaltiger – machen.

„Wenn sich die Anzahl der Elektroautos auf deutschen Straßen tatsächlich so stark erhöht wie prognostiziert, könnte es schnell zu einer Überlastung des Stromnetzes kommen“ Prof. Dr. Hermann de Meer
Intelligent laden
Die Passauer Forschungsgruppe um Prof. Dr. Hermann de Meer, Inhaber des Lehrstuhls für Informatik mit Schwerpunkt Rechnernetze und Rechnerkommunikation, hat vor allem das Stromnetz im Visier. „Wenn sich die Anzahl der Elektroautos auf deutschen Straßen tatsächlich so stark erhöht wie prognostiziert, könnte es schnell zu einer Überlastung des Stromnetzes kommen“, meint de Meer. Bei einer geschätzten Zahl von einer Million Fahrzeugen im Jahr 2020 bestehe zwar noch keine große Gefahr, dass das Stromnetz instabil reagiert. Steige die Zahl aber weiter, steige auch das Risiko, dass viele Fahrzeuge gleichzeitig laden und dann das Stromnetz überfordern. electrific soll dazu beitragen, dass das Stromnetz nicht massiv ausgebaut werden muss. Die Lösung lautet „intelligent laden“, so de Meer.
Lernfähige Algorithmen planen optimale Routen
Die Passauer Forschungsergebnisse fließen auch in ein intelligentes Navigationssystem, das „Advanced Driver Assistance System“ (ADAS) ein, das den Fahrerinnen und Fahrern eine optimale und nachhaltige Route empfiehlt. Es bezieht individuelle Wünsche mit ein und hilft, beim Laden einen Ladezeitpunkt zu wählen, der für das Stromnetz, fürdie Batterie und für die Umwelt am besten ist: Außerhalb der Ladestoßzeiten, mit viel Strom aus erneuerbaren Energiequellen und, wenn möglich, mit Zeit zum langsamen Laden. Dabei verwertet das System unter anderem Wetterprognosen und aktuelle Informationen aus dem Elektrizitätsnetz. Lernfähige Algorithmen verarbeiten die eingehenden Informationen und berechnen entsprechende Vorschläge. Dabei hat jede Nutzerin, jeder Nutzer die Wahl zwischen schnellen, grünen oder günstigen Routen. Am Ende spuckt das intelligente Navi einen individualisierten Vorschlag für die optimale und gleichzeitig nachhaltigste Route aus.
Freundlich zur Batterie
electrific hat auch Batterietechnik und Batterieeinsatz im Blick. Ein Forschungsteam der Technischen Hochschule Deggendorf widmet sich der Frage, wie sich die Lebenszeit einer Batterie durch intelligentes Laden verlängern lässt. „Das wichtigste ist, die Batterie nicht ständig komplett aufzuladen“, sagt Prof. Dr. Andreas Berl, Projektleiter von electrific an der THD. „Wenn die Akkuleistung noch für weitere Fahrten ausreicht, sollte man nicht schon vorher wieder laden.“ Und wenn, dann am besten langsam. „Schnelles Laden führt dazu, dass sich die Batterie erhitzt und das tut ihr nicht gut“, so Berl. Folge: Die Batterie altert und verliert an Ladekapazität. Genau das versucht die App zu vermeiden. Sie gibt je nach Fahr- und Ladeverhalten eines E-Autofahrers oder einer -fahrerin Empfehlungen, wann und wie das Laden für die Batterie am gesündesten ist.
Praktisches Beispiel
Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Eine Mutter bringt ihr Kind zum Kindergarten, fährt dann zur Arbeit, danach zum Baumarkt und anschließend noch zum Supermarkt. Der Einfachheit halber und wegen der geringen Anzahl an Ladestationen neigt sie momentan dazu, die Batterie vor Fahrtbeginn vollständig zu laden und auf dem Heimweg schnell nachzuladen – für Batterie, Umwelt und Stromnetz ist das allerdings ungünstig. Wenn nun beispielsweise um 14 Uhr am Baumarkt die Sonne scheint, kann es möglicherweise sinnvoll sein, früher als geplant nachzuladen. Denn der Prozentsatz an Solarenergie an der Ladestation wäre deutlich höher, der Strom, der in der Batterie landet, umweltfreundlicher. Und der Ladezeitpunkt läge zudem außerhalb der Stoßzeiten am Morgen und am Abend. Um die Batterie zu schonen, sollte sie aber nur dann laden, wenn der Akku sowieso nicht mehr lange reicht.
Vom Bayerwald bis nach Barcelona
Den Praxistest hat das Assistenzsystem bereits bestanden. Verschiedene Kooperationspartner haben ihre E-Flotten mit electrific-Technologie bestückt und liefern nun jede Menge Daten. Der Fuhrpark der Firma E-Wald tourt durch den Bayerischen Wald, die E-Autos, E-Roller und E-Fahrräder des Fahrzeugvermieters e-Šumava durch den Nationalpark Böhmerwald und die Betriebsflotte des Energieversorgers Bayernwerk ist mit einem Handy und der entsprechenden App ausgestattet, um unter anderemmdie Ladeflexibilität der Batterien aufzuzeichnen und das Potential für mehr grünen Strom im Akku zu errechnen. Input kommt auch aus Spanien von der E-Bus-Flotte der Stadtwerke Barcelona. Die Katalanen wollen ihr komplettes öffentliches Verkehrsnetz auf E-Mobilität umstellen. electrific liefert ihnen dafür einen intelligenten Ladekalender.
Kleine Zuckerchen, etwa Boni und Preisrabatte an den Ladestationen, animieren die Fahrerinnen und Fahrer zusätzlich dazu, so nachhaltig wie möglich unterwegs zu sein. „Im Praxistest klappt das sehr gut. Wir sehen, dass das System adaptiv reagiert, dass die Vorschläge des Navis angenommen werden und die Leute intelligenter laden.“
Seit August ist das Projekt, für das Fördermittel aus dem Programm der Europäischen Union für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ bereitgestellt wurden, abgeschlossen. Eine Version der App mit den wichtigsten Funktionen ist für alle Android-Handys im Google Playstore erhältlich. Auf Grund von technischen Einschränkungen, wie etwa der nötigen Datenverbindung zum Auto, unterstützt diese Version allerdings nicht alle Features. Die App soll nun mit Kooperationspartnern aus der Wirtschaft weiterentwickelt werden.
Autorin: Nicola Jacobi
Ersterscheinung: TRIOLOG 2/Dezember 2019