Keine Angst vorm Signature Move
Wollte man in den 80ern und frühen 90ern einer anderen Person etwas über den eigenen (erlesenen) Musikgeschmack mitteilen, war das Mixtape DAS Mittel der Wahl. Die geneigten Hörerinnen und Hörer erkannten plötzlich Querverbindungen, lernten, wie der eine mit dem anderen Song zusammenhing und wie man selbst mitreden konnte. Auf jeden Fall merkte man einem Mixtape die überbordende Begeisterung des Herstellers für das Sujet an. Und so sollte das auch bei den Videos sein, die Sie für Ihre Studierenden oder alle Interessierten da draußen erstellen. Wenn Sie das beherzigen, kann nichts schiefgehen. Damit wäre alles gesagt. Oder doch nicht?
Planen Sie Videos nur für Ihre Studierenden, dann sind die folgenden Ratschläge sicher hilfreich. Vor allem aber befasst sich dieser Artikel mit Videos, die sich an alle „da draußen“ wenden, die eventuell Bedarf entwickeln könnten, sich über Ihre Forschungsthemen zu informieren.
Lektion 1: Einnehmen
Wie bei jedem Text, Vortrag, Film, usw. ist es hilfreich, wenn Sie Ihre Adressaten gleich am Anfang persönlich abholen, sie für Ihr Thema einnehmen, indem Sie eine emotionale Bindung erzeugen und neugierig machen.
Nun ist das bei wissenschaftlichen Themen mal leichter und mal schwerer zu bewerkstelligen. Bei Harald Lesch geht es um die ewigen Rätsel des Universums. Aber vielleicht kann Ihr Forschungsgebiet nicht mit den Faszinationen des Urknalls oder eines Schwarzen Lochs mithalten. Vielleicht handelt es sich um zwar nicht alltägliche, aber gerade deswegen hochkomplizierte Technik. Oder vielleicht kann man Sachverhalte Ihrer Projekte nicht auf ein einfaches Beispiel runterbrechen.
Macht nichts. Ein zu verkünstelter Einstieg ist auch nicht gut. Im Zweifel hilft es, den potenziellen Zusehern gleich am Anfang zu sagen, worum es geht und was sie erwartet.
„In diesem Video beschäftigen wir uns mit Julius Caesar. Woher er kommt, wie er zum mächtigsten Mann Roms wird und warum er mit 23 Dolchstichen ermordet wird.“
Das reicht. Wer sich dafür entscheidet, nun dranzubleiben, interessiert sich für Ihr Thema und ist aufgeschlossen.
„Wenn der Wind weht und die Sonne scheint, wird in Deutschland tonnenweise Ökostrom erzeugt. So viel, dass man ihn nicht auf der Stelle verbrauchen kann. Also besteht die Herausforderung darin, diesen nicht benötigten Strom für eine spätere Verwendung zu speichern. Eine Möglichkeit ist Wasserstoff. Und genau darum geht es in diesem Video.“
Je knapper und präziser Sie jemanden zum Thema hinführen, umso kompetenter wirken Sie (und sind es auch tatsächlich). Versuchen Sie nicht, künstlich locker zu wirken. Bemühen Sie sich allerdings gerade bei den ersten Sätzen um Verständlichkeit. Daher dürfen Sie gerne „tonnenweise“ sagen – anstatt „71,65 Kilowattstunden“. Verwenden Sie kurze Sätze. Keine Bandwurm-, oder im schlimmsten Fall sogar Partizipialkonstruktionen benutzende, verschachtelte, also eher für den wissenschaftlichen Vortrag zu reservierende, endlose Sätze.
„Hallo, ich bin Frank Schmitt, Professor für Energietechnik, und ich erkläre in diesem Video die Photosynthese.“
Reicht auch. Wichtig ist, dass man Ihnen anmerkt, dass es Ihnen ernst ist. Die Begeisterung, die man für das Kompilieren eines Mixtapes brauchte, nennt man heutzutage „Authentizität“. Ein schrecklich überbeanspruchter Begriff, aber doch ein sehr präziser.
Lektion 2: Mitnehmen
Authentizität wird Ihnen von den Nutzern , die Ihr Video sehen, dann zugeschrieben, wenn Sie einen komplizierten Sachverhalt verständlich darstellen. Wie das nicht geht, kennt man vom Deutschen im Urlaub: Hat dieser es mit einem Nicht-Muttersprachler zu tun, spricht er LAUT und l a n g s a m. Sprechen Sie lieber klar und verständlich.
Verständlich kann auch ein langer Satz sein, wenn er beim Sprechen richtig gegliedert wird. Verständlich
kann auch Fachsprache sein. Verständlich wird eine Erklärung dann, wenn Sie sich in die richtige Situation versetzen. Das ist allerdings vor einer Kamera nicht ganz einfach. Zum einen fehlt das Publikum – Sie können niemanden adressieren, niemanden ansehen, sondern blicken in das kalte, lidlose Objektiv. Sie stehen auch nicht vor einer Tafel oder an einem Pult oder auf einer Bühne, sondern wahrscheinlich irgendwo im Büro (wo man normalerweise nicht rumsteht) oder in der Bibliothek (wo man ebenfalls nicht rumsteht) oder vor einem Hintergrund, den Sie für geeignet halten (viele Leute finden, dass Pflanzen im Hintergrund toll passen. Ein Trugschluss.).
Weil das gesamte Setting absolut unnatürlich ist, lohnt es sich, wenn Sie sich gut einstimmen. Stellen Sie sich Ihre Zielgruppe, Ihr Publikum genau vor. Wenn Sie Lieschen Müller / Ihre Studierenden / den Lions-/Rotary- Club vor Ihrem geistigen Auge halten, finden Sie automatisch das richtige Sprachniveau. Sie können dann auch tatsächlich spontan die eine oder andere Nebenbemerkung einbauen.
Sprachlich-didaktisch gilt, was immer gilt: Zerlegen Sie Erklärungen in einzelne Abschnitte, wiederholen Sie, fassen Sie zusammen. Im Video können Sie das ja durch Texteinblendungen oder Text- bzw. Bildtafeln noch verstärken.
Benutzen Sie Beispiele, damit es konkreter wird. Sprechen Sie gut betont (ohne unnatürlich zu akzentuieren!), um die Aufmerksamkeit hochzuhalten. Und vor allem: … Machen Sie … Pausen. Die Verlockung, schnell und schneller zu sprechen, ist beim Videodreh noch größer als in der Vorlesung.
Wenn Sie sich aufgrund der äußeren Umstände unwohl fühlen, kann es helfen, sich selbst Fragen zu stellen und diese zu beantworten. Damit bleiben Sie fokussiert. Wenn Sie die Frage sogar noch laut stellen (und / oder durch Texteinblendungen unterstützen), fällt gegebenenfalls die Gliederung des Videos leichter.
„Wieso perlt das Wasser vom Lotos-Blatt ab? Ein Blick durch das Mikroskop …“
Ein schöner psychologischer Nebeneffekt: Wer Fragen beantworten kann, wird als kompetent wahrgenommen. Fragen zu beantworten gehört zum Kerngeschäft von Hochschullehrerinnen und Forschern. Und das stützt wieder die Authentizität.
Extrem wichtig ist das Storytelling. Gemeint ist schlicht und ergreifend die Tatsache, dass unser Gehirn sich Dinge gut einprägt, wenn sie erzählt werden. Fakten, Tipps, usw. sollten immer in einen Gesamtzusammenhang eingebunden werden. Erst dann wird für die Nutzer klar, warum und wozu sie nützen. Anschauungsmaterial liefert beispielsweise der YouTube-Kanal „Mr. Wissen2go Geschichte“, der dies ausführlich und sehr erfolgreich praktiziert .
Um den roten Faden zu finden und festzuhalten ist es ratsam, ein Konzept, ein Storyboard oder noch besser ein Skript für die Aufnahme anzufertigen. Behandeln Sie hinsichtlich Ihrer Vorbereitungen eine Videoaufnahme so wie einen Vortrag. Oder besser: wie einen Impulsvortrag. Denn eines stimmt: In der Video-on-Demand-Welt müssen Sie sich insgesamt kürzer fassen. Es geht ja nicht darum, eine Terra-X-Folge zu produzieren, sondern ein Video zwischen dreieinhalb und zwölf Minuten. Umso wichtiger ist es, sich vorher darüber klar zu werden, was man auf jeden Fall sagen will und muss.
Experimentieren Sie! Wie stark kann ich den Inhalt komprimieren – wie kurz kann mein Video werden? Im Zweifel definiert immer der Inhalt die Länge.
Lektion 3: Aufnehmen
Jetzt müssen Sie noch darauf achten, dass bei der Aufnahme nichts schiefgeht. Ja, Sie wetteifern mit Leuten um Aufmerksamkeit, die berufsmäßig Video-on-Demand im Netz anbieten und die sich manchmal mehrerer Zuarbeiter bedienen. In der Regel steht hinter diesen Videos mehr als eine Person. Aber das soll Sie keinesfalls abschrecken. Denn im Gegensatz zu diesen Produktions-Profis sind Sie Expertin bzw. Fachmann. Das größte Fehlerpotenzial liegt in Ihrem Fall in der Präsentation. Doch auch hier hilft das Befolgen weniger Regeln. Wenn Sie stehen und nicht sitzen, ist das Wichtigste bereits geschafft. Wer sich abschauen möchte, was man mit den Händen tut, sollte sich Dr. Mai Thi Nguyen-Kim ansehen, die Standards setzt.
Blicken Sie gerade in die Kamera. Von unten filmen geht gar nicht. Für eine Aufnahme von oben muss man schon ziemlich hip daherkommen.
Der Hintergrund, vor dem Sie stehen, sollte möglichst neutral sein. Bitte nicht direkt vor die weiße Wand stellen, dann achten die User nur auf die Bewegungen Ihres Schattens. Halten Sie Abstand zum Hintergrund. Auf keinen Fall Gummibäume und ähnliches präsentieren. Wer so etwas sehen will, geht in den Gartenbaumarkt. Bücherregale, von den Kindern gemalte Bilder, Diplome oder Fotos lenken auch nur von Ihren Inhalten ab. Solche dinglichen Hintergründe wirken nur gut, wenn sie leicht unscharf sind.
Aus pragmatischen Gründen bietet sich ein fester Drehort an. Wenn Sie immer im gleichen Setting auftauchen, generiert das einen hohen Wiedererkennungswert und signalisiert etwas Verlässliches. Mit demselben Prinzip arbeiten TV-Serien oder auch die Tagesschau. Damit wären wir endlich bei
Lektion 4: Signature Move
angelangt. Solche ikonischen Bewegungen oder Gesten haben sich zuerst im Sportbereich durchgesetzt. Klaus Kinski legte sich eine charakteristische Drehbewegung zu, um ins Bild der Kamera zu treten, die Werner Herzog als „Die Kinskische Schraube“ ins Lehrbuch einführte. Und jeder kennt die Bewegung, die Peter Lustig machte, um die Kinder nach Löwenzahn zum Ausschalten zu ermutigen. Wenn man allerdings auch die Sprache mit einbezieht, darf der ältere Cato als der vielleicht erste Redner mit einem Signature Move gelten:
„Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“
Einen solchen Signature Move, ein wiederkehrendes sprachliches Signal sollten Sie sich ebenfalls zulegen, wenn Sie vorhaben, regelmäßig Wissenschafts-Videos zu produzieren. Vielleicht haben Sie ja bereits einen, den Sie in der Vorlesung anwenden.
Lektion 5: Einnehmen
Hier im Sinne von „für sich einnehmen“ oder „pflegen“ verstanden. Der große Vorteil von Videoplattformen wie YouTube ist, dass die Nutzer Ihnen auch Fragen zum Video stellen können. Diese sollten Sie allerdings auch wirklich beantworten. Denn eine treue Community, eine „Fangemeinde“ oder – wenn Ihnen das Wort unangemessen unwissenschaftlich erscheint – zuverlässige Reichweite gewinnen Sie nur, wenn Sie eine gewisse persönliche Beziehung herstellen. Und wie bei jeder persönlichen Beziehung bedeutet das: Beziehungsarbeit zu leisten.
Sicher gibt es immer wieder Videos, die sich auch ohne Interagieren sehr weit verbreiten. Wenn Sie Ihre Videos in und mit sozialen Netzwerken bewerben, werden Sie mehr Menschen erreichen. Natürlich besteht die Gefahr, in einen reinen Wettbewerb zu verfallen, wer mehr Likes, Visits, Klicks ergattern kann.
Auf Fragen und Kommentare zu antworten, ist allerdings aus einem anderen Grund eine wesentliche Aufgabe für eine gelingende Wissenschaftskommunikation. Die Menschen, die sich zu Ihren Videos äußern, wollen etwas fragen oder etwas kommentieren. Wenn Sie sich schon mal darüber geärgert haben, dass bei Vorlesungen oder Vorträgen das Publikum Ihre Ausführungen ergeben auf sich herabregnen lässt ohne eine Reaktion zu zeigen, dann haben Sie als Wissenschafts-Tuber endlich die Chance, die gesamte Bandbreite möglicher emotionaler Reaktionen und echten Interesses für Ihre Themen zu genießen.
Diese Leute wollen von Ihnen etwas erfahren, diese Menschen stecken Ihr Mixtape in den Kassettenrecorder. Und das ist doch eine extrem befriedigende und wohltuende Erfahrung.
Text: Dr. Matthias Schöberl
Ersterscheinung: TRIOKOMM/Herbst 2020
Weiterführende Infos und Links
Tipps und Tricks zum praktischen Dreh bietet das öffentlich-rechtliche Angebot „So geht MEDIEN“
Wenn Sie sich unsicher sind, ob Sie die technischen Anforderungen bewältigen können, ist es vernünftig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gerade in Ostbayern haben sich in den vergangenen Jahren viele kleine Produktionsfirmen angesiedelt. Bemerkenswert ist das Konzept der Firma TymClyps, die Studios bereitstellt, in denen man eine betreute Aufnahme durchführen kann.
Darüber hinaus sollten Sie in Betracht ziehen, Studierende einzubinden: Medien / Medienproduktion-Studiengänge gibt es an der OTH Amberg-Weiden und der TH Deggendorf.