Versuch macht klug, heißt es so schön – und wir alle wissen: Fehler gehören zum Leben dazu. Dennoch redet niemand gern über eigene Misserfolge oder Niederlagen. Dabei würde ein ehrlicherer und selbstbewussterer Umgang mit dem Scheitern mitunter sogar zu mehr Innovation und Kreativität führen. Vor allem aber böte er uns die Möglichkeit zu lernen, dass unser Selbstwert nicht davon abhängt, ob wir Fehler machen.
Thomas Alva Edison war ein ebenso findiger Geschäftsmann wie ehrgeiziger Erfinder: Für mehr als 1.000 seiner Erfindungen meldete er im Laufe seines Lebens Patente an. Allein 9.000 Versuche – so ist es zumindest überliefert – hat er unternommen, bis er die Glühbirne schließlich in jener Version entwickelt hatte, die er 1880 in den USA patentieren ließ. Ein Mitarbeiter soll während dieses Prozesses vom Scheitern gesprochen haben, worauf hin Edison erwidert habe: „Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1.000 Wege, wie man keine Glühbirne baut.“
Professor Dr. med. Volker Busch
...leitet an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg die Psychosoziale Stress- und Schmerzforschung. Er ist zudem seit 20 Jahren als Neurologe und Psychiater in Regensburg tätig. Der Titel seines kürzlich erschienenen, sehr lesenswerten Buches lautet: „Kopf frei! Wie Sie Klarheit, Konzentration und Kreativität gewinnen“. Website von Prof. Dr. Busch
Innovationsprozesse sind nicht geradlinig
Edison hatte offenbar schon damals verstanden: Wer wirklich innovativ sein will, muss das Scheitern mit einkalkulieren. Zumindest in der Theorie dürfte uns das auch völlig klar sein. Wer in unbekanntem Terrain unterwegs ist, nimmt schon mal die falsche Abzweigung, muss umkehren und eine andere Richtung wählen. In der Praxis jedoch ist das Scheitern in vielen Bereichen immer noch mit einer riesigen Scham behaftet. Gerade Deutschland gilt als Land des Perfektionismus mit einer nur sehr niedrigen Fehlertoleranz. „Das ist naheliegend, denn wir sind – wie viele andere westliche Industrienationen auch – eine Leistungsgesellschaft, in der oft ausschließlich das Ergebnis und nicht der Weg dahin zählt“, erklärt Professor Dr. med. Volker Busch, der an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg die Psychosoziale Stress- und Schmerzforschung leitet.

Wer wirklich innovativ sein will, muss das Scheitern mit einkalkulieren.“
Dabei“, so betont er, „müsse sich eine gewisse Angst vor Fehlern nicht zwangsläufig negativ auf die Leistung auswirken.“ Entscheidend bei Ängsten sei immer der Intensitätsgrad: Wir müssen sie im Griff haben, nicht sie uns, denn wenn sie zu groß und allumfassend werden, verkehrt sich ihre Funktion ins Negative.“
Dass Versagensangst Innovationen behindern kann, weiß auch Dr. Michael Freese, Professor für Psychologie mit dem Schwerpunkt Innovation und Entrepreneurship an der Leuphana Universität Lüneburg. Schon seit den 1980er Jahren forscht Freese zur Fehlerkultur in Unternehmen. Er ist überzeugt, dass eine Firma, in der Angst vor Fehlern herrsche, langfristig nicht erfolgreich sein könne.
Dabei sei gar nicht die Angst per se das Problem, sondern eher die Langsamkeit, die daraus entstehe, dass man Sachen fehlerfrei machen wolle. Zudem laufe, wer Fehler unbedingt vermeiden wolle, Gefahr, diese nicht zu managen: „Wenn sie doch auftreten, wird das Handtuch geworfen – und dieses Scheitern bleibt hängen, nicht der Fehler. Es ist also wichtig, dass ich einen Fehler schnell erkenne und rasch Konsequenzen ziehe, ohne darüber nachzudenken, welch ein Idiot ich war.“ (Quelle: https://www.landdergesundheit.de/lernendes-system/guter-fehler-boeser-fehler)
Eine Frage des Selbstwertes
An diesem Punkt setzt auch Volker Busch an, wenn es um die Frage geht, warum Menschen so unterschiedlich mit Fehlern und Misserfolgen umgehen. Was den einen komplett aus der Bahn wirft, tangiert den anderen allenfalls kurzzeitig: „Das hat ganz viel mit unserem Selbstwert zu tun und damit, woran wir ihn festmachen. Was sind unsere Stärken? Was sind unsere Schwächen? Was glauben wir von uns selbst?“ Dies sei die entscheidende Frage für die Tatsache, wie Menschen mit dem Scheitern umgingen:

Wenn ich weiß, ich bin trotzdem wertvoll und es gibt Dinge, die ich kann, selbst wenn ich an einem Punkt versagt habe, dann kratzt dieser Fehler weniger an mir, als wenn mein gesamter Selbstwert davon abhängt, ob ich ein bestimmtes Ergebnis erziele oder nicht. “
„Erfolg“ neu definieren
Wie wir mit Fehlern oder Scheitern umgehen, ist zum einen also eine Frage des individuellen Selbstwertgefühls. Zum anderen ist es aber auch eine gesellschaftliche Frage. Stichwort: Leistungsgesellschaft. Wo allein Optimierung und Effizienz die Maxime sind, ist kein Raum für eine Fehlerkultur. Der Psychiater Busch verdeutlicht es an einem anschaulichen Beispiel aus der Natur: „Zu jedem Wachstum gehört auch der Stillstand und sogar der Rückschritt. Ein Baum oder auch viele andere Pflanzen verlieren ihre Blätter und frieren oft ein Stück zurück, um im nächsten Frühjahr wieder knospen zu können. Dieses Modell wäre in unserer heutigen Wirtschaft überhaupt nicht denkbar.“

Wo allein Optimierung und Effizienz die Maxime sind, ist kein Raum für eine Fehlerkultur.“
Die viel beschworene Start-up-Mentalität sei eben nicht so einfach auf große, etablierte Unternehmen übertragbar, wie häufig vermittelt werde. Wo allein Optimierung und Effizienz die Maxime sind, ist kein Raum für eine Fehlerkultur.
Dafür müssten seiner Ansicht nach auf der wirtschaftlichen Ebene erst die Strukturen geschaffen werden, so dass spielerisch-experimentelles Denken und Arbeiten wieder möglich werde. Ein Schritt dahin könnte sein, Erfolg anders zu definieren: „Wenn wir uns weiterhin ausschließlich am Ziel orientieren, werden Fehler auch weiterhin mit einem schambesetzten Gefühl verbunden bleiben. Stattdessen sollten wir ein Stück weit erkennen, dass der Weg das Ziel ist.“
Und wenn der Weg das Ziel ist, dann wird auch der Mut belohnt werden, den ersten Schritt in eine bisher unbekannte Richtung getan zu haben. Selbst wenn wir stolpern oder viele Versuche brauchen – 9.000 müssen es ja gar nicht zwingend sein.
Autorin: Barbara Weinert
Ersterscheinung: TRIOLOG 6/Dezember 2021