Mobilität findet sich nicht nur als Forschungsthema in ganz unterschiedlichen Disziplinen der TRIO-Verbundhochschulen, sondern spielt auch in den ostbayerischen Städten Amberg, Deggendorf, Landshut, Passau und Regensburg eine zentrale Rolle. TRIOLOG, das TRIO-Transfermagazin, hat die Verantwortlichen zu relevanten Aspekten des Themas befragt. Eine Kurzversion der Antworten wurden bereits in der aktuellen Ausgabe der TRIOLOG veröffentlicht. Hier lesen Sie die ausführlichen Antworten von Raphaela Pagany, Leiterin der Dienststelle Verkehrsplanung Passau.
Was ist das größte verkehrsbezogene Problem in Ihrer Region, mit dem Sie sich konfrontiert sehen?
Für die Dreiflüssestadt Passau und seinem Einzugsgebiet ist es insbesondere durch die topographischen Gegebenheiten eine Herausforderung, Verkehrsplanung zu betreiben. Hügeliges Terrain und die drei Flüsse erlauben nur bestimmte Verkehrsführungen, sei es zwischen Bergketten und den Flüssen oder über Brücken als einzige Verbindung zwischen den Stadtteilen. So ergeben sich Verkehrsüberlastungen an bestimmten Knotenpunkten und zu bestimmten Stoßzeiten, besonders auch durch den positiven Pendlersaldo der Stadt. Der hohe Anteil an Bundes- und Staatsstraßen begünstigt außerdem den Durchgangsverkehr. Themen wie die stadtnahen Transitkorridore oder ein weiterer Brückenbau zur Entlastung einzelner Stadtteile wurden vielfach geprüft und diskutiert. Bestimmte Themen sind bis heute nicht gelöst, was die Komplexität und Herausforderung der Verkehrsplanung in unserer Region zeigt.
Nichtsdestotrotz können wir versuchen, Wege zu optimieren oder auch Alternativen zum motorisierten Individualverkehr (MIV) zu stärken. Beispielsweise enthält das aktuelle Radverkehrskonzept einige Maßnahmenvorschläge, die wir nach und nach umsetzen wollen, um den Radverkehr zu stärken. Wichtig ist uns dabei, dass passend zum aktuellen Stand des Modal Split möglichst alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer gleichermaßen Berücksichtigung finden. Das ist eine große Herausforderung, denn eine alleinige Priorisierung des Radverkehrs, wie es von bestimmten Rad-Befürwortern zum Beispiel aktuell für die Innbrückgasse gefordert wird, würde gleichzeitig eine Benachteiligung für die Fußgängerinnen und Fußgänger bedeuten. Deshalb hat man sich für die Innbrückgasse für eine Spielstraße, zunächst probeweise für ein Jahr entschieden - gleiches Recht für alle.
Eine weitere Herausforderung in der Region sehen wir in der interkommunalen Verknüpfung der Verkehre über Gemeindegrenzen hinweg, und auch die Forderung nach einer überregionalen Abstimmung.
Radwege dürfen genauso wenig am Gemeinde- oder Stadtrand aufhören wie das Bus- oder Bahnticket nur für Stadt oder Land zählt."
Radwege dürfen genauso wenig am Gemeinde- oder Stadtrand aufhören wie das Bus- oder Bahnticket nur für Stadt oder Land zählt. Eine Verbundraumstudie, die gerade in die Wege geleitet wird, soll den ÖPNV besser vernetzen und einheitliche Tarif- und abgestimmte Fahrpläne ermöglichen.
Für Passau selbst sehen wir es als unsere Pflicht, den innerstädtischen Verkehr zu verringern, um die Attraktivität des Innenstadtlebens zu steigern."
Für Passau selbst sehen wir es als unsere Pflicht, den innerstädtischen Verkehr zu verringern, um die Attraktivität des Innenstadtlebens zu steigern. Eine Aufgabe des aktuell in der Entwicklung befindlichen Verkehrsentwicklungsplans ist es, durch Verkehrserhebungen und -simulationen einen besseren Überblick über innerstädtischen, Pendler- und Durchgangsverkehr zu erhalten, alternative Wege und Antriebsmöglichkeiten im Verkehr aufzuzeigen und so dem Wandel in der Mobilität für Passau und dem Umland nachzukommen.
In vielen Kommunen wird ein kostenloser ÖPNV diskutiert. Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht der ÖPNV im ländlichen Raum überhaupt?
Wir sind der Meinung, dass der ÖPNV sowohl für die Stadt als auch für den ländlichen Raum von wertvoller Bedeutung ist.
Dass ein kostenloser ÖPNV in manchen Modellstädten wie Tallinn oder auch kleineren deutschen Städten funktioniert, hängt von mehreren Faktoren ab, die unserer Meinung nach aufgrund der weniger dichten Nachfrage im ländlichen Raum wenig zum Tragen kommen."
Dass ein kostenloser ÖPNV in manchen Modellstädten wie Tallinn oder auch kleineren deutschen Städten funktioniert, hängt von mehreren Faktoren ab, die unserer Meinung nach aufgrund der weniger dichten Nachfrage im ländlichen Raum wenig zum Tragen kommen. Eine Verkehrsverlagerung vom MIV auf den ÖPNV könnte zwar in gewissem Umfang gewährleistet werden, jedoch bedeuten die dezentralen, dünn besiedelten Regionalstrukturen entweder einen enormen Mehraufwand für die ÖPNV-Betreiber, die in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zur Nachfrage stehen, oder die Abdeckung durch den ÖPNV ist zu gering, als dass man nicht doch ein weiteres Fahrmittel benötigt, um zur nächsten Haltstelle oder dann doch bis zum Zielort zu gelangen.
Den einzigen Weg sehen wir daher in einem flexiblen und bedarfsorientierten Verkehrsangebot. Ob Rufbusse dafür die optimale Lösung sind, ist eher fraglich – vielleicht kann man sie als gewisse Übergangslösung für die sich wandelnde Mobilität im ÖPNV-Bereich sehen. Flexible und kostengünstige Varianten könnten hier die Zukunft sein, vielleicht weniger von einem einzelnen Betreiber ausgehend, sondern als kleinere Mobilitätsdienste, evtl. sogar im Sharing-Format. Damit könnte es möglich werden, die Anschaffung von Zweit- oder Drittautos in einem Haushalt in Zukunft obsolet zu machen.
Bis sich diese Vision erfüllen könnte, wäre ein einheitlich koordinierter ÖPNV-Verbundraum wünschenswert, in dem die Linien aufeinander abgestimmte Taktungen fahren und über ein Ticketsystem, möglichst digital und bequem von einem Ende bis zum anderen Ende der Region und sogar überregional gefahren werden kann. Eine unkomplizierte stadt- und landkreisübergreifende Mobilität eben. Nur so kann eine (Teil-)Verlagerung des noch hohen Anteils am MIV gesenkt und stärker auf Bus, Bahn und Fahrrad verlagert werden.
Beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität sind die Kommunen gefordert. Wie sieht die aktuelle Rolle Ihrer Kommune hierzu aus?
Das Thema Elektromobilität wollen wir auch in Passau vorantreiben und unterstützen dabei zum Beispiel durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Daneben freut es uns, einen Sharing-Anbieter in Passau zu haben, der mit seiner Flotte an teils elektrifizierten Car-Sharing Fahrzeugen einen neuen Weg der Mobilität aufzeigt und der mit seiner Buchungsanfrage auch zufrieden ist. Nachhaltige Mobilität wird in Passau wahr- und angenommen.
Nachhaltige Mobilität wird in Passau wahr- und angenommen."
Außerdem sollen in einem neuen Modellprojekt, dem Lastenrad-Mietsystem, innerhalb der nächsten zwei Jahre der Einsatz und Nutzen von automatisiert buchbaren Elektro-Lastenrädern erprobt werden. An zwölf Stationen sollen 24 Räder ausleihbar sein, egal ob für eine Fahrt zum Einkauf, für die Abholung der Kinder vom Kindergarten, zur Fahrt mit schwerem Gepäck Richtung Bahnhof oder zu Freizeitzwecken, wenn neben dem Badehandtuch noch mehr Picknick-Equipment mit aufs Rad soll. Passau hat sich für die Förderung des Lastenrad-Mietsystems beworben und ist als eine von acht Kommunen unter 98 Bewerbern ausgewählt worden. Das Projekt wird vom Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr gefördert. Wir sind stolz, dieses einmalige Projekt unterstützen zu dürfen. Wir hoffen natürlich auf eine hohe Nachfrage seitens junger Familien, Studenten oder anderen Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt.
Welche Rolle werden Ihrer Meinung nach alternative Verkehrsmittel wie etwa der Radverkehr in Zukunft spielen?
Unserer Meinung nach wird der Radverkehr in Zukunft eine deutlich größere Rolle als bisher spielen. Gerade auch in unserer Region haben sich in den letzten Jahren mit den Pedelecs neue Wege aufgetan, wie das Fahrrad stärker genutzt werden kann. Die Elektrifizierung ermöglicht es nicht nur, innerhalb weniger Minuten von der Altstadt, vielleicht noch mit Einkäufen oder Laptop-Tasche, deutlich höher gelegene Stadtteile wie Kohlbruck, Hacklberg oder Patriching zu erreichen. Die Antriebshilfe erleichtert ebenso den Weg in die Arbeit per Rad von den umliegenden Gemeinden aus. Voraussetzung dafür ist es, dass der Ausbau der Fahrradwege in der Stadt durch die Umsetzung des Radverkehrskonzeptes weiter vorangetrieben wird und in den Nachbargemeinden durchgängige Anschlüsse an die Radwege des Stadtgebietes (aus)gebaut werden.
Der oben genannten Herausforderung, trotz begrenzter und enger Straßenraumverhältnisse in Passau gut ausgebaute Radwege zu gestalten, müssen wir dabei weiter ins Auge schauen. Radwege-Neubauten, Bodenmarkierungen und Lichtsignalanlagen für Radfahrer, Fahrradabstellanlagen und ähnliches wurden in den letzten Jahren verstärkt eingesetzt und sollen auch in den nächsten Jahren zum Einsatz kommen. Neben dem Radverkehrskonzept als Leitlinie beim Ausbau des Radverkehrs ist es im Übrigen auch hilfreich, wenn uns Bürgerinnen oder Bürger Hinweise zukommen lassen, wie etwa fehlende Beschilderungen oder verblasste Markierungen.
Wie glauben Sie, dass in 20 Jahren die Mobilität in einer Stadt wie Passau aufgestellt sein wird? (Beispiele: Multimodale Mobilität, Konsolidierung der letzten Meile bei Zulieferern, E-Mobilität im Innenstadtbereich)
Dass sich im Mobilitätsbereich in den letzten Jahren viel geändert hat und auch in Zukunft wandeln wird, steht außer Frage. Aktuelle pressewirksame Themen wie das autonome Bus-Shuttle, über deren potenzielle Realisierung derzeit nachgedacht wird, zeigen eindeutig, dass das „Quasi-Monopol“ des MIV in der Stadt zu Ende gehen wird.
Fortschritte in der automobilen Technik und das sich verändernde Bewusstsein der Bevölkerung für alternative Verkehrskonzepte sind eine Chance, die Mobilität in der Stadt Passau zum geeigneten Zeitpunkt anzupassen."
Fortschritte in der automobilen Technik und das sich verändernde Bewusstsein der Bevölkerung für alternative Verkehrskonzepte sind eine Chance, die Mobilität in der Stadt Passau zum geeigneten Zeitpunkt anzupassen. Ob der Verkehr bereits in 20 Jahren, also mittelfristig gedacht, voll-autonom und rein nachhaltig mit Bus und Rad abgedeckt sein wird, ist vielleicht in Frage zu stellen. Ein über Jahrzehnte aufgebautes und intensiv genutztes System wird möglicherweise nicht so schnell umgestaltet werden können. Wir denken aber schon, dass flexiblere und kleinstrukturierte Sharing-Systeme und eine multimodale Mobilität mit höherem CO2-neutraler Fortbewegung mittels Rad und E-Bus als der MIV innerhalb der nächsten 20 Jahre möglich ist.
Das TRIO Team bedankt sich für das Interview.
Ersterscheinung in Kurzform: TRIOLOG Ausgabe 5 (2021)