Täglich landen hierzulande große Mengen an Lebensmitteln im Müll. Diese Verschwendung ist aus ethischen und ökologischen Gründen nicht hinnehmbar. An der Technischen Hochschule Deggendorf werden Tools entwickelt, die zur Linderung des Problems beitragen könnten.
Die Zahlen des World Wide Fund For Nature (WWF) sind so exorbitant wie beschämend. Pro Jahr landen in Deutschland 18 Mio. Tonnen Lebensmittel auf dem Müll, die noch genießbar gewesen wären, etwa ein Drittel des landesweiten Verbrauchs. Pro Tag 27.000 Tonnen, pro Sekunde 313 Kilogramm. Das vergrößert unseren Flächen- und Klimafußabdruck, beschwert unseren ökologischen Rucksack unnötig. Braucht es doch für die Erzeugung von Lebensmitteln neben Energie auch Acker- und Grünland und werden doch mit der Produktion Treibhausgase freigesetzt – durch Düngung der Böden, den Transport und die Urbarmachung natürlicher Lebensräume. Vom Einsatz menschlicher Hände, dem Wasserverbrauch und den umsonst geschlachteten Tieren ganz zu schweigen. Im weltweiten Verschwendervergleich belegt Deutschland Platz 9: Auf jeden Einwohner entfallen demnach tagtäglich entlang der Wertschöpfungskette Lebensmittelabfälle im Wert von rund 1.400 kcal, was dem Tagesbedarf eines 4- bis 6-Jährigen entspricht.
Pro Jahr landen in Deutschland 18 Mio. Tonnen Lebensmittel auf dem Müll, die noch genießbar gewesen wären, etwa ein Drittel des landesweiten Verbrauchs. Pro Tag 27.000 Tonnen, pro Sekunde 313 Kilogramm.
Enormes Potenzial für Einsparungen
Zehn Mio. Tonnen Lebensmittelabfälle, so schätzt der WWF, wären in Deutschland pro Jahr vermeidbar, also mehr als die Hälfte der momentan weggeworfenen Menge. Die vielen Facetten und Ursachen von Lebensmittelverlusten entlang der Wertschöpfungskette bieten ebenso viele Ansatzpunkte für Lösungen. Ein nicht unbedeutender Anteil vergeudeter Lebensmittel entfällt auf Großverbraucher wie Gastronomie und Kantinen: laut WWF 3,4 Mio. Tonnen Verluste jährlich, 2,3 Mio. Tonnen Einsparpotenzial. Hier setzte „EnKü – Energieeffiziente Küche“ an, ein Projekt des Technologie Campus Grafenau (TCG) der THD, das in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn), der Ressourcen Management Agentur (RMA) in Wien und der Universität Stuttgart durchgeführt wurde. Ein Teilaspekt dieses Projekts widmete sich dem Thema Lebensmittelverschwendung. Drei Betriebsgastronomien in Bayern mit täglich bis zu 1.000 Gästen waren Pilotpartner.
Bernhard Bauer, Projektleiter am TCG, berichtet: „Kantinenleiter stehen vor der schwierigen Aufgabe, den Einkauf für längere Zeiträume im Voraus planen zu müssen und hier gut zu kalkulieren: nicht zu viel und nicht zu wenig. Jedes Gericht sollte möglichst bis zum Ende der Mittagspause zur Verfügung stehen, der Gast erwartet eine gewisse Palette an Angeboten, jedoch muss auch ein Maximalbudget eingehalten werden.“ In der Regel vertrauen Küchenchefs auf ihre persönliche Expertise und ihr Bauchgefühl. „Trotz ihrer großen Erfahrung gibt es aber auch immer mal wieder Fehlkalkulationen auf der Tageskarte“, so Bauer. Das im Projekt entwickelte, frei zugängliche Online-Prognose-system Prog-MoSys hilft Großküchen vor allem dabei, das Potenzial ihrer Daten auszuschöpfen, um so Verschwendung vorzubeugen.
Heute besser nur 80 Mal Karibische Wokpfanne
Die Gästezahlen in Betriebsgastronomien sind von unterschiedlichen Faktoren abhängig, lassen sich aber dennoch sehr gut prognostizieren. „Da die Belegschaft häufig relativ konstant ist, gibt es wiederkehrende Muster bei den Gästezahlen“, erklärt Bauer. Faktoren wie der Wochentag, Ferien oder Brückentage helfen bei der Schätzung der zu erwartenden Gäste. Komplex hingegen ist die Kalkulation der Portionszahlen: Hier spielen wesentlich mehr Faktoren eine Rolle.
Ein Beispiel
Schweinemedaillons in Rahmsoße verkaufen sich anders als solche in Pfeffersoße. Schweinshaxe läuft an regnerischen Tagen besser als bei Freibadwetter. Auch macht es einen Unterschied, welche Gerichte in Kombination angeboten werden: Bei der Konstellation Karibische Wokpfanne mit Tofu vs. Sauerbraten werden die Verkaufszahlen wenig fluktuieren, Wiener Schnitzel vs. Currywurst wird größeren Schwankungen unterliegen. Qualitative Unterschiede bei identischen Gerichten, die die Verkaufszahlen beeinflussen, sind für maschinelle Lernverfahren schwere Kost und müssen außen vorgelassen werden. Auch neue Speisen behindern die Prognosefähigkeit. Insgesamt aber führt die exakte Prognose der Gästezahlen in Kombination mit dem Wissen über die Verkaufszahlen einzelner Gerichte zu einer deutlichen Reduktion der Überproduktion. Die drei teilnehmenden Betriebe zeigten bei Hauptgerichten ein Zuviel von 12 bis 24 Prozent. Mit Hilfe von ProgMoSys ließ sich diese Überproduktion um 20 bis 40 Prozent senken.
Nähmen sie das Tool zu Hilfe und könnten so die Verschwendung ebenfalls um 20 bis 40 Prozent reduzieren, würden 9,5 bis 19 Mio. Speisen nicht im Abfall landen. Wenn man zugrunde legt, dass die Herstellung einer Speise ca. 2,8 kg CO2 verbraucht, beträgt das Einsparungspotenzial hier also rund 27 bis 53 Mio. kg CO2 pro Jahr.
Bis zu 40 Prozent Einsparungspotential in bayerischen Betriebskantinen
In bayerischen Betriebskantinen müssen jährlich 47 Mio. Speisen entsorgt werden. Nähmen sie das Tool zu Hilfe und könnten so die Verschwendung ebenfalls um 20 bis 40 Prozent reduzieren, würden 9,5 bis 19 Mio. Speisen nicht im Abfall landen. Wenn man zugrunde legt, dass die Herstellung einer Speise ca. 2,8 kg CO2 verbraucht, beträgt das Einsparungspotenzial hier also rund 27 bis 53 Mio. kg CO2 pro Jahr. Ein Quadratkilometer Wald speichert jährlich 1 Mio. kg CO2. Die Einsparmöglichkeit bayerischer Kantinen mithilfe von ProgMoSys entspricht somit dem CO2-Speicherpotenzial einer Waldfläche so groß wie 3.800 bis 5.600 Fußballfelder.
Gegessen wird, was app den Tisch kommt!
Und nun zu den Privathaushalten. Hier beklagt der WWF Verluste von 7,2 Mio. Tonnen jährlich, gut die Hälfte aller Lebensmittelabfälle. Davon könnten 4,9 Mio. Tonnen theoretisch vermieden werden. Die Ursachen sind zahlreich: zu viel Vorrat eingekauft, zu viel gekocht, Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten, fehlender Überblick, zu große Gebinde.
Auch hierfür hat der TCG ein Rezept. Die App stocky, gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF), entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik IML und dem KErn. Auch Vertreter der Zielgruppe wirkten mit. Mithilfe dieses Warenwirtschaftssystems für Zuhause behält man im Blick, was in Vorratskammer und Kühlschrank lagert. Erfasst werden kann dies per Barcode-Scan, optische Zeichenerkennung auf Kassenbons per Smartphone-Kamera oder Spracheingabe. Auf Basis der Personenzahl im Haushalt generiert die App Rezeptvorschläge im Wochenplan, abgeglichen mit vorhandenen Lebensmitteln, sowie automatische Einkaufslisten mit den fehlenden Zutaten. Würde also die Milch morgen ablaufen und würden vier Eier im Kühlschrank dem Mindesthaltbarkeitsdatum entgegendämmern, würde man erinnert. Würden gleichzeitig auch eine Zitrone und zwei Äpfel im Korb ihren Vertrocknungsprozess beginnen und wäre noch Milchreis im Schrank, würde die App wohl Apfel-Reisauflauf vorschlagen und das Rezept auswerfen. Die fehlende Butter erschiene auf dem Einkaufszettel.

Der Zweck der App besteht aber nicht darin, Konsumentinnen und Konsumenten zu zwingen, jedes Lebensmittel im eigenen Haushalt mit der App zu verwalten. Die App bietet vielmehr eine Sammlung an Funktionen. Es können diejenigen genutzt werden, die in der jeweiligen Situation den größten Mehrwert bieten.“ Dr. Michael Scholz
Was die App noch auf Lager hat: Tipps zur richtigen Aufbewahrung von Lebensmitteln, Feedback zum eigenen Wegwerfverhalten sowie eine Nachhaltigkeits-Challenge. Dr. Michael Scholz vom TCG betont: „Der Zweck der App besteht aber nicht darin, Konsumentinnen und Konsumenten zu zwingen, jedes Lebensmittel im eigenen Haushalt mit der App zu verwalten. Die App bietet vielmehr eine Sammlung an Funktionen. Es können diejenigen genutzt werden, die in der jeweiligen Situation den größten Mehrwert bieten. Das kann die Einkaufsliste für den Haushalt sein, die von demjenigen, der gerade dazu kommt, abgearbeitet wird. Das kann aber auch die Verwaltung von besonders schnell verderblichen Lebensmitteln sein.“
Die stocky App ist seit Ende September 2020 für Android und iOS im jeweiligen App Store verfügbar.
Autorin: Esther Kinateder (THD)
Ersterscheinung: TRIOLOG 3/Juni 2020