Spiegelnde Objekte zu vermessen, die sich auf einem Fließband bewegen, ist aktuell fast unmöglich. Das wollen die Hochschule Landshut, das Unternehmen Micro-Epsilon und das Forschungsinstitut FORWISS der Universität Passau jetzt im Rahmen des Projekts FlyFlect 3D ändern. Für die Industrie wäre das ein erheblicher Fortschritt.
Wenn Prof. Dr. Christian Faber von seinem Forschungsprojekt erzählt, glänzen seine Augen ebenso wie das schwarz lackierte Modellauto auf seinem Schreibtisch im Büro der Hochschule Landshut: „Das Interessante an spiegelnden Objekten ist, dass man sie eigentlich gar nicht messen kann, da ihre Oberflächen im Gegensatz zu matten Materialien selbst nicht sichtbar sind. Wenn Sie das lackierte Modellauto betrachten, sehen Sie nur, welche Wirkung es auf das einfallende Licht hat. Sie sehen also eigentlich gar nicht das Auto selbst, sondern nur ein verzerrtes Bild der Umgebung“. Wir Menschen sind zwar intuitiv in der Lage, spiegelnde Oberflächen als solche zu erkennen, da wir aufgrund unseres Kontextes wissen, dass die Umgebung eigentlich gerade ist. So können wir zurückschließen, welche Form das Objekt haben muss, um die beobachtete Verzerrung zu verursachen. Mathematisch betrachtet ist das jedoch ein äußerst schwieriges Problem.
Für die Industrie ist es allerdings wichtig, spiegelnde Oberflächen vermessen zu können, um beispielsweise bei Smartphone-Displays, TV-Bildschirmen, Fahrzeugkarosserien oder Brillengläsern Produktionsfehler rechtzeitig zu erkennen. Ein mittlerweile etabliertes Verfahren für eine solche optische 3D-Vermessung ist die sogenannte Phasenmessende Deflektometrie. Dabei wird auf einer großflächigen Lichtquelle (z.B. einem Bildschirm) ein Streifenmuster dargestellt, das vom spiegelnden Objekt reflektiert wird. Eine Kamera nimmt das gespiegelte und verzerrte Muster auf. Aus der Verformung des Spiegelbilds kann dann die Neigung gemessen und daraus die Krümmung der Oberfläche berechnet werden.
Schnelle Messungen ohne Zeitverlust
„Aufgrund der sehr genauen dreidimensionalen Messung erkennen die Hersteller bei der Inspektion ihrer Produkte sogar kleinste Unebenheiten wie Kratzer im Lack, Einschlüsse oder Rauigkeiten“, erklärt Faber, „das Problem ist nur: Da mehrere Bildaufnahmen nötig sind, um das Objekt exakt zu vermessen, darf es sich nicht bewegen.“ Das bedeutet, dass in der Serienproduktion das Fließband für diesen Vorgang jeweils anhalten muss. Das kostet die Unternehmen insgesamt gesehen viel Zeit, selbst wenn die eigentliche Prüfung nur wenige Sekunden dauert. Die beste Lösung wäre daher, wenn Hersteller ihre spiegelnden Objekte dreidimensional vermessen könnten, während sie auf dem Fließband weiterfahren. „Genau an diesem Punkt setzen wir mit unserem Projekt an“, erzählt Faber begeistert, „denn ein solches Verfahren gibt es bisher noch nicht. Für die industrielle Serienfertigung wäre das ein riesiger Fortschritt.“
Partner ergänzen sich perfekt
Unter dem Titel On-the-Fly-Deflektometrie zur schnellen 3D-Inline-Inspektion in der Bewegung (FlyFlect 3D) arbeitet die Hochschule Landshut seit 2017 gemeinsam mit dem mittelständischen Unternehmen Micro-Epsilon und dem Forschungsinstitut FORWISS der Universität Passau daran, ein solches neuartiges Messverfahren zu entwickeln. Die Bayerische Forschungsstiftung unterstützt das Projekt, das noch bis Juli 2020 läuft, mit rund 280.000 Euro.

Unser Ziel ist, am Ende einen Demonstrator für eine industrietaugliche Lösung zu präsentieren“ – Prof. Dr. Christian Faber.
Dabei teilen sich die Messtechnik-Firma und die beiden Forschungsgruppen die Arbeit thematisch auf: So ist Faber als Projektleiter an der Hochschule Landshut gemeinsam mit seiner Doktorandin Hanning Liang für die Verfahrenskonzeption und den Laboraufbau zuständig. Das Institut FORWISS unter Leitung von Prof. Dr. Tomas Sauer kümmert sich um die algorithmische Umsetzung der Methoden und entwickelt daraus eine Software für den Demonstrator. Micro-Epsilon baut schließlich den Demonstrator auf und führt die Tests und Evaluation durch. Darüber hinaus arbeiten die Hochschule Landshut und die Universität Passau bei der kooperativen Promotion von Frau Liang zusammen.
Gemeinsam einen großen Schritt vorangekommen
„Die Kooperation klappt hervorragend“, berichten Faber und Liang, „wir sind einen großen Schritt vorangekommen.“ Dies kann auch Dr. Erich Fuchs, Geschäftsführer von FORWISS, bestätigen: „Die wissenschaftliche Expertise ergänzt sich komplementär und erzeugt zusammen mit der enormen Praxis-Erfahrung von Micro-Epsilon einen erheblichen Mehrwert für alle Beteiligten.“ Mehr dürfen sie allerdings zum jetzigen Zeitpunkt nicht verraten. Das gemeinsame Projekt verläuft nämlich so erfolgreich, dass die drei Partner gerade dabei sind, für ihre Erfindung ein Patent anzumelden.
Die wissenschaftliche Expertise ergänzt sich komplementär und erzeugt zusammen mit der enormen Praxis-Erfahrung von Micro-Epsilon einen erheblichen Mehrwert für alle Beteiligten.“ – Dr. Erich Fuchs, Geschäftsführer von FORWISS
Mehrwert für bayerische Wirtschaft
„Wenn das klappt, würden sich für die Messtechnik ganz neue Anwendungsgebiete erschließen“, ist sich Faber sicher, „denn das Geschäftsfeld der schnellen und präzisen Vermessung spiegelnder Oberflächen birgt enormes Potenzial.“ So könnte das neue Verfahren neben der Anwendung in der seriellen Stückfertigung auch bei der Inspektion von Endlosmaterial wie Folien oder Blechrollen zum Einsatz kommen. Zudem wäre die neue Methode geeignet, große Objekte wie Windschutzscheiben, Teleskopspiegel oder lackierte Schiff- und Flugzeugkörper zu vermessen. Von den guten Erfolgsaussichten ist auch Micro Epsilon überzeugt. Das Unternehmen vertreibt als einer der weltweit führenden Hersteller von Messtechnik bereits mehrere Deflektometrie-Systeme für die Industrie und schätzt die Verkaufschancen für das neue Verfahren sehr hoch ein. Die Folge: Der gesamte Wirtschaftsstandort Bayern könnte von der Kooperation profitieren.
Neue Impulse für Forschung
Auch für die Forschung in Ostbayern bietet das Projekt einen echten Mehrwert: Denn die beiden niederbayerischen Forschungsgruppen, die bislang das Thema Deflektometrie getrennt voneinander bearbeitet haben, nehmen FlyFlect 3D zum Anlass, zum ersten Mal in diesem Bereich zusammenzuarbeiten. „Diese Bündelung von Kompetenzen ermöglicht ganz neue Impulse für die Wissenschaft“, so Faber. Für den leidenschaftlichen Forscher, der sich nun schon seit über 10 Jahren mit dem Thema Phasenmessende Deflektometrie befasst, ist die Kooperation somit auch persönlich ein echter Fortschritt. „Bei diesem Projekt haben sich die richtigen Leute gefunden“, freut sich Faber, „jeder weiß sofort, wovon der andere spricht. Und jeder trägt seinen Teil zum Gelingen des Projekts bei.“ Für eine gute Kooperation sei das extrem wichtig: „Das Verhältnis zwischen Geben und Nehmen darf nicht zu einseitig sein“, betont Faber, „wenn sich aber jeder Partner effektiv einbringt, dann ist ein solches Projekt erfolgreich – und macht obendrein viel Freude.“
Autorin: Veronika Barnerßoi
Ersterscheinung: TRIOLOG 1/Juli 2019