Wie könnte ein kreativer Rahmen für ein Symposium ausgestaltet sein? Wie lassen sich Forschungsergebnisse und Erkenntnisse spannend und verständlich kommunizieren und wie kann ein menschzentrierter Problemlösungsansatz Wissenschaftskommunikation verbessern?
Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigten sich die Teilnehmenden des jährlichen Symposiums des Graduiertenkollegs der Universität Passau Ende 2019. Unterstützt wurden sie dabei von dem Hochschulverbundprojekt Transfer und Innovation in Ostbayern (TRIO). Im Teilprojekt „Transfer- und Innovationsstrukturen“ werden unter anderem Formate und Methoden für Innovationen und Transfer nach dem Bedarf in der Region Ostbayern erprobt, weiterentwickelt und etabliert. Eine dieser Innovationsmethoden ist der Design Thinking-Ansatz.
Was ist Design Thinking?
Design Thinking ist ein Ansatz zur kreativen Problemlösung, der von einer bestimmten Arbeits- und Denkkultur geprägt ist. Es geht darum, die immer komplexer werdenden Herausforderungen der Zukunft kreativ zu adressieren und Innovationen zu schaffen, die den Menschen in den Fokus stellen. Wenn Design Thinking erfolgreich angewendet wird, hat es das Potenzial, eine (Organisations-)Kultur zu schaffen, die benötigt wird, um die (digitale) Transformation zu meistern. Ob und wie der Ansatz dabei unterstützt, forschungsbasierten Wissens- und Technologietransfer erfolgreicher und innovativer zu gestalten, soll im Projekt TRIO erprobt werden.
Um zu verstehen, wie Design Thinking und Wissenschaftskommunikation zusammengeführt werden können, muss zunächst der Ansatz näher beleuchtet werden. Laut der HPI School for Design Thinking des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam basiert die gemeinschaftliche Arbeits- und Denkkultur auf drei Erfolgsfaktoren, die auch den Zielen des Symposiums zugute kamen.
Drei wichtige Erfolgsfaktoren
Eines der Ziele des Symposiums war der interdisziplinäre Austausch zwischen aktuellen und ehemaligen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Graduiertenkollegs. Dafür ist der Design-Thinking-Ansatz prädestiniert, da ein zentraler Erfolgsfaktor das interdisziplinäre Team darstellt, dessen Teammitglieder bestimmte Eigenschaften mitbringen müssen – das sogenannte T-Profil. Der vertikale Balken steht für die Tiefe des fachspezifischen und analytischen Wissens jedes Teammitgliedes. Essenziell für ein interdisziplinäres Design-Team, aber auch für gute Wissenschaftskommunikation ist allerdings die Fähigkeit, über die eigene Disziplin hinaus zu kommunizieren und sich zu vernetzen, d.h. eine gemeinsame Sprache zu finden. Die benötigte Neugier und Offenheit dafür wird durch den horizontalen Balken dargestellt.
Auch der Raum ist ein essenzieller Bestandteil des Prozesses, der modular und offen eingerichtet sein und die Bedürfnisse des Design-Teams erfüllen muss. Grundsätzlich sollte ein eigener, individuell gestaltbarer ›Team-Space‹ für jedes Team verfügbar sein, genauso wie genügend beschreibbare Oberflächen und im Idealfall Stehtische. Der Raum sollte neben der Lösungsorientierung auch den spielerischen Aspekt des Prozesses unterstreichen. Der iterative Problemlösungsprozess kann sehr anstrengend sein, soll aber auch Spaß machen, so dass die Kreativität im Team auf einem hohen Niveau gehalten wird. Schließlich sollten beim diesjährigen Symposium die klassischen Strukturen von wissenschaftlichen Impulsvorträgen und Diskussionsrunden durchbrochen und die Kreativität der Teilnehmenden herausgefordert werden. Zentrale Themen der Forschung im Bereich Privatheit und Digitalisierung wurden sowohl interdisziplinär diskutiert als auch für die Wissenschaftskommunikation aufbereitet.
Dabei konnte der dritte Erfolgsfaktor unterstützen: der Design Thinking-Prozess, der die Teilnehmenden dazu anregt, den kompletten Denkapparat zu aktivieren – den analytischen und den kreativintuitiven. Grundsätzlich lässt sich Design Thinking als Ansatz besser verstehen, wenn er in drei essenzielle Bestandteile gegliedert wird: Design Thinking als Toolbox, als Prozess und als Mindset.
Der klassische Design-Thinking-Prozess kann – je nach Schule – aus fünf bis sieben Phasen bestehen (vgl. Abb.1). Die HPI School of Design teilt den Prozess in sechs iterative Prozessschritte ein, die sich wiederum in Problem- und Lösungsverständnis einordnen lassen. Grundsätzlich geht es darum, zunächst eine Problemstellung aus Sicht der Menschen zu erkennen, die davon betroffen sind, zu durchleuchten und die Sichtweise darauf basierend neu zu definieren. Erst danach geht es in die Lösungsfindung, wobei die vielversprechendsten Ideen direkt als Prototypen gebaut und mit den Nutzer*nnen getestet werden. Dieser Prozess wird iterativ, d.h. in mehreren Schleifen und nicht linear, durchlaufen und kann durch eine Vielzahl an Tools und Methoden unterstützt werden. Ein Beispiel, das auch während des Symposiums Verwendung fand, ist die Persona-Methode. Diese stellt das typische Verhalten und die Persönlichkeitsmerkmale einer Personengruppe in Form eines Archetypus dar. Die Persona kann etwa für Senior*nnen im Alter zwischen 65 und 75 stehen und bekommt einen Namen und charakteristische Merkmale, Vorlieben, Gewohnheiten etc. zugewiesen. Die Anwendung im Design Thinking-Prozess erleichtert es dem Team, sich in die Zielgruppe, die durch die Persona repräsentiert wird, hineinzuversetzen.
Eine Frage des Mindsets
Viel wichtiger als Prozess und Methoden ist allerdings das zugrundeliegende Mindset, mit dem komplexe Problemstellungen angegangen werden. Wie der Name bereits andeutet, kann und soll Design Thinking als Art des Denkens, als Mindset verstanden werden. Es bietet Prinzipien und Herangehensweisen für die Lösung komplexer Problemstellungen. Das erste und wichtigste Prinzip lautet: Innovation wird von und für Menschen gemacht. Dieser zutiefst menschzentrierte Ansatz baut zuallererst auf Empathie für die Wünsche, Bedürfnisse und Ängste betroffener Menschen und unterscheidet sich somit von traditionellen Innovationsprozessen, bei denen häufig die technische Machbarkeit und/oder die wirtschaftliche Rentabilität allein im Fokus stehen. Ein weiteres wichtiges Prinzip heißt: Kombiniere divergentes und konvergentes Denken. Der Lösungsraum wird beim divergenten Denken geöffnet und vermeintliche Grenzen werden in einem kreativen Prozess durchbrochen, was häufig echte, disruptive Innovation ermöglicht. Um aus diesen ›wilden‹ Ideen umsetzbare Lösungen zu filtern, wird das konvergente, analytische Denken benötigt. Frühes und häufiges Scheitern sowie das Bauen von erlebbaren Prototypen sind zwei weitere Prinzipien. Im Design Thinking wird eine offene Fehlerkultur gelebt, jedes Scheitern gilt lediglich als neue Möglichkeit des Lernens. Erlebbare Prototypen unterstützen den Lernprozess, da sie es ermöglichen, frühes Feedback von den Nutzer*innen zu bekommen.
Aus all diesen Prinzipien ergibt sich der inhärent iterative Charakter des Prozesses, der nie enden kann, da Annahmen immer wieder überprüft und geändert werden müssen. Die tiefgreifend komplexen Problemstellungen, die typischerweise von Designer*innen und Design Thinker*innen bearbeitet werden, können nie vollständig und für alle Zeit gelöst werden. Diese Problemstellungen sind auch als wicked problems (dt. böse Probleme) bekannt: Weder kann das genaue Problem definiert noch eine eindeutige Lösung identifiziert werden.
Die Lösungen führen meist zu weiteren Problemen oder bringen Einsichten zu neuen Aspekten des Problems. Darüber hinaus ändern sich die Rahmenbedingungen und Herausforderungen dieser komplexen Probleme über die Zeit. Beispiele sind etwa gesellschaftliche, politische und soziale Herausforderungen wie Klimawandel, soziale Ungleichheit oder auch Privatheit im Spannungsfeld der Digitalisierung.
(Wissenschafts-)Kommunikation als komplexes Problem
Auch (Wissenschafts-)Kommunikation kann als komplexes Problem und somit als Design-Problem betrachtet werden, denn die Erforschung der Wissenschaftskommunikation ist noch jung, und es gibt wenige bewährte Modelle, geschweige denn eindeutige Lösungswege, auch wenn das Thema zunehmend in den Fokus rückt. Die Herausforderungen setzen sich aus verschiedensten Komponenten zusammen, denn neben dem Inhalt spielen unter anderem Rhetorik, Psychologie und Soziologie eine wichtige Rolle. Komplexe Probleme ergeben sich daneben auch aus den Zielen, die mithilfe von Kommunikation erreicht werden sollen. Beispielsweise könnte es darum gehen, das Publikum von der Gültigkeit einer Theorie zu überzeugen, neue Ansätze einer breiteren Zielgruppe zugänglich zu machen oder auch generell das Bewusstsein für die Wissenschaft zu stärken.

Design is combining form and content. We need both. Too much form becomes abstract. Too much content becomes unreadable." – Paul Rand
Warum macht es also Sinn, Design-Thinking-Methoden für die Kommunikation einzusetzen?
Empathie mit dem Zielpublikum ist auch in der Wissenschaftskommunikation notwendig. Darüber hinaus ist das Erstellen und Testen von Prototypen (Textentwürfen, Videos, Bilderserien, Comics etc.) meist erfolgreicher als eine klassisch wissenschaftliche Herangehensweise, da Iterationsschleifen und Feedback helfen, das Publikum besser zu verstehen. Die methodische Vorgehensweise ermöglicht einen bewussten Prozess, der leichter zu befolgen ist, und sie erlaubt, sich auf die eigene Intuition zu verlassen, wo es keine Vorerfahrungen gibt und evidenzbasierte Entscheidungen nicht möglich sind. Einige hilfreiche Tipps zur design-basierten, zielgruppenorientierten Kommunikation:
- Empathie für die Zielgruppe aufbauen, beispielsweise für Wissensstand und Duktus
- Divergentes, kreatives Denken kann zu neuen Erkenntnissen führen, die wiederum gewinnbringend in der Wissenschaftskommunikation eingesetzt werden können
- Visualisierung und Storytelling helfen dabei, wissenschaftliche Erkenntnisse greifbar zu machen
- Prototypen erstellen und testen erhöht die Erfolgschancen
- Pilotprojekte mit ausgewähltem Publikum liefern wertvolles Feedback
- Konsequente Zusammenarbeit mit Personen aus unterschiedlichen – auch unverwandten –Disziplinen oder beruflichen Kontexten bringt wertvolle neue Perspektiven
Autor: Maria Wilhelm, Innovationscoach, TRIO